Sagenhaftes
Pfarrer Paul Joh. Haack (1920 - 1954) hat die nun folgenden Texte zusammengestellt:
Was man sich in Heiligensee aus alten Zeiten erzählt
Die schwarzen Stiere
In uralten Zeiten kamen die Menschen alljährlich am Heiligen See zusammen und begingen ein großes Fest. Es weiß aber niemand mehr den Tag im Jahr, an dem das geschah. Dann schirrte man zwei schwarze Stiere vor einen Wagen und hielt einen feierlichen Umzug. Zuletzt wurden aber die Stiere so wild, dass sie keiner mehr bändigen konnte. Sie rannten zum See hinunter, stürzten sich in seine Fluten und verschwanden in seiner grundlosen Tiefe. Es hat auch niemand mehr eine Spur von ihnen gefunden.
Das versunkene Schloss
In alter Zeit stand am Heiligen See ein prächtiges Schloss. Darin wohnte eine wunderschöne Prinzessin. Zu manchen Zeiten ging sie mit ihren Gespielinnen aus dem Schloss hinaus und tat den Leuten, die im Dorf wohnten, viel Gutes.
Einmal kam aber ein böser Zauberer an den See. Der verwünschte die Prinzessin. Als er seinen Fluch ausgesprochen hatte, erhob sich ein gewaltiger Sturm, und der wogende See verschlang das Schloss mit allen seinen Bewohnern.
Die Glocken im Heiligen See
Tief auf dem Grunde des Heiligen Sees liegen Glocken. Vor alter Zeit sind sie versunken. Zuweilen kommen sie aber zum Vorschein. Man sieht sie dann meistens mitten im See auf einer flachen Stelle (Untiefe) liegen. Dort wärmen sie sich im Strahle der Mittagssonne. Einige Leute hörten sie auch schon sprechen. Es war gerade am Johannistag. Sie kamen aus der See heraus und die eine sagte zur anderen: "Anne Susanne, wiste mett to Lanne?" Darauf antwortete die andere: "Nimmermehr!" Dann sanken sie, nachdem sie noch einmal angeschlagen hatte, wieder in die Tiefe.
(Nach Beckmann und Kuhn)
Die weiße Frau im Schifferberg
Wenn man mit dem Schiff die Havel abwärts nach Spandau fährt, sieht man gleich hinter dem Dorf Heiligensee zur Linken einen Berg, dessen flacher Gipfel mit Kiefern bestanden ist. Sein weißer Sand leuchtet weithin zum Flusse, wenn die Sonne darauf scheint. Er bildet seit alter Zeit ein Merkzeichen für die Schiffer und darum heißt er der Schifferberg. (In der Nähe des Schützenhauses in Sandhausen.)
In seinen Innern wohnt tief verborgen die weiße Frau. Nur einmal im Jahr verlässt sie ihr geheimnisvolles Schloss. Am Johannistag hüllt sie sich in einen langen weißen Schleier und setzt sich eine strahlende Krone aufs Haupt. Wenn die Glocken im Dorf zu Mittag läuten, öffnen sich die Tore des Schlosses, und die weiße Frau schreitet feierlich aus dem Berge. Ein feines Singen und Klingen zieht durch die Luft, und ihr weißer Schleier wallt weithin im Sonnenglanze. Doch nur selten haben die Menschen die weiße Frau gesehen. Es müssen schon begnadete Sonntagskinder sein.
"Das Gnadenbild von Heiligensee"
Eine Erzählung aus der Vergangenheit von Heiligensee und Nieder-Neuendorf
Purpurrot ging die Sonne jenseits der Havel hinter dem starken Wehrturm von Nieder-Neuendorf unter. Der ganze Himmel war ein einziges Flammenspiel. Es war, als streckte sich segnend eine feurige Riesenhand über den Wallfahrerzug, der soeben von dem Fährmann mit seiner starken Fähre auf das andere Ufer übergesetzt worden war. Sie hatten sich in Berlin gesammelt, aus allerlei Dörfern und Höfen der Mark wanderten sie nun auf dem "Heiligen Blutwege" nach Wilsnack, um dort der Gnaden des "Heiligen Blutes" zu erharren.
Sinnend und nachdenklich lauschte Nikolaus Clanier, der Priester von Heiligensee, dem in der Ferne verschwebenden Gesang. Es war, als sei der ganze Abendhimmel in heiliges Blut getaucht und als zögen die Pilgerscharen geradewegs in die himmlische Gottesburg hinein.
Nikolaus, der Priester von der Heide, war gerade in entgegengesetzter Richtung über die Papenberge aus Spandau heimgekehrt. Er hatte dort an einer Versammlung der Brüder teilgenommen. Es war gewesen wie immer: Reden über dies und das unter den benachbarten Brüdern, die hier zusammentrafen, über säumige Zahler der fälligen Steuern und über andere Einkünfte... und dann als Abschluss ein fröhliches gemeinsames Mahl bei den dortigen Zisterzienserbrüdern.
Dieses Mal hatte sein Erscheinen in Spandau noch einen anderen Zweck gehabt. Er war als Zeuge bei einem langwierigen Prozess geladen, bei dem es sich um den Verkauf einer Wiese handelte.
Sinnend stand er da. Auf der Fährüberfahrt war er mit Maria von Bredow zusammengetroffen. Sie hatte ihm schweigend die Hand gedrückt, und ohne viele Worte wusste er als ihr alter Beichtvater, welch ein Druck auf ihrem Herzen lastete. Sie war wieder einmal drüben auf der anderen Seite der Havel bei ihrem Bruder gewesen, dem biederen Nikolaus von der Gröben und hatte ihm ihr Herz ausschütten wollen. Aber freilich, was konnte der ihr auch viel helfen; er hatte ja nur Sinn für seine Pferde und Kälber, für die Hirschjagd in dem nahen Luch und für die Aalreusen in der Havel. Wenn sie bei ihm war und anfing, ihrem Bruder von ihrem heimlichen Leid anzudeuten - er hörte nur mit halben Ohre hin. So wurde sie jedes Mal wieder auf sich selbst und ihre Not zurückgeworfen.
"Wenn er könnte, dann würde er eben anders zu dir sein, mein Kind, aber er kann nicht anders sein als er ist, und er weiß nicht, was er eigentlich tut, sei größer als er und vergilt das Böse mit Gutem!" Mit diesen Worten hatte Clanier sein Beichtkind entlassen, die ihm vom Fährdamm des Dorfes, der ganz in Grün versteckt mit seinen roten Dächern aus den alten Bäumen hervor lugt, entgegengeeilt war. Der alte Priester schüttelte den Kopf:...Wie war es nur möglich, dass dieses feine, zarte Frauenwesen an diesen rüden Matthias von Bredow geraten war?
Aber freilich - als der damals um sie geworben hatte, da war er auch anders gewesen. Er hatte sich nur von seiner guten Seite gezeigt, hatte sie überall in den Ställen seines Erbhofes herumgeführt und als er sie dann gefragt hatte, ob sie die Seine werden wolle, da hatte sie gemeint, sie wüsste nicht, warum sie nein sagen sollte, und hatte ihm ihr Jawort gegeben.
Aber bald hatte es sich gezeigt, dass diese Ehe wahrhaftig nicht im Himmel geschlossen war. Kaum hatte sein Vater Lippold seine Augen geschlossen, kaum war das Rittergut Heiligensee auf seinen ältesten Sohn Matthias übergegangen, da begannen auch schon die Streitigkeiten mit dem Lehnschulzen von Heiligensee, Peter Bredicke.
Unter den Askaniern war bei den vielen Fehden ihrer Fürsten das Land sehr verarmt und die Abgaben, die der Lehnschulze von den Bauern einzuziehen hatte, drückten sehr. Pacht und Ackerzins waren bei den wilden Zeiten ohnehin schon sehr schwer einzutreiben, wenn auch sein Vater Lippold mit Güte und Geduld immer noch den Markgräflichen Herrn damit zu Willen sein konnte.
Matthias, der Hitzige und Heftige, ging rücksichtsloser dabei vor. Seit nun gar eine neue regelmäßige Steuer eingeführt war, und Matthias schroff auf der rastlosen Eintreibung dieser Abgabe bestand, war dauernd Unfriede und Streit zwischen Matthias und Bredicke.
Es war ein richtiger heimlicher Kleinkrieg, den die Bauern gegen Matthias von Bredow führten. Einmal lieferten sie schlechten ausgewachsenen Roggen ab, ein andermal fand es sich, dass die Aalreusen der Bredows in einer Nacht alle durchgeschnitten und zerstört waren. Matthias hatte zuerst einen Verdacht auf Jasper Lemcke gehabt, der ihm schon früher einen üblen Streich gespielt hatte. Er ließ ihn festsetzen, musste ihn dann aber doch wieder freilassen, da jenem nichts nachzuweisen war. Matthias war ohnehin jähzornig. Und das wurde noch schlimmer, als er sich mit dem Peter Pasger verband. Das war der Markgräfliche Krüger von Heiligensee. Seine Voreltern waren unter den niederdeutschen Einwanderern gewesen, die vor mehr als hundert Jahren eingewandert waren und hatten den Krug hochgearbeitet - ging doch die Poststraße von Berlin nach Hamburg über Heiligensee und über Bötzow durch den Krämerwald, und auch alle Pilger, die auf dem "Heiligen Blutwege" nach Wilsnack wanderten, kehrten fast alle vor dem Übersetzen mit der Fähre in seinem Kruge ein, blieben wohl gar über Nacht bei ihm. Pasger und sein Nachbar drüben in Nieder-Neuendorf, Marzahn, gehörten zu den wenigen Markgräflichen Krügern, die weder vom Lehnschulzen noch vor dem Ritter abhängig waren. Ja, Pasger erfreute sich einer größeren Freiheit als der Lehnschulze Bredicke, der von Matthias von Bredow abhängig war. Pasger hatte lediglich den Zapfenzins und den Wasserzins zu zahlen, aber im Übrigen war er völlig frei. Es war daher kein Wunder, dass von jeher eine Spannung zwischen dem Lehnschulzen und dem Krüger bestand und Matthias sich auf die Seite des Krügers schlug, bei dem er immer öfter vorsprach und sich dort seinen ärger herunter spülte. In solch einer Stimmung war Matthias wieder einmal, als sein Weib Maria ihm heimkehrend entgegentrat.
"Wo warst Du wieder?" herrschte er sie wütend an. "Du kannst auch bloß immer klagen und mir das Leben schwer machen..." - "Du weißt, dass ich bei meinem Bruder drüben gewesen bin... Seine Frau ist in den Wochen, und ich musste doch hinüber, nach ihr zu sehen." - "Ach, das sind bloß Flausen, in Wirklichkeit willst Du Deinen lieben Bruder gegen mich aufhetzen. Das verstehst Du ja meisterhaft." - "Aber Matthias," das war das einzige, was Maria auf den Wutausbruch ihres Mannes sagte, dann ging sie still aus der Stube und dachte an die Worte ihres alten Beichtvaters. Er weiß es nicht, wie er wirklich ist, sonst würde er nicht so schrecklich gegen mich sein, dachte sie.
Draußen kamen ihr ihre beiden Töchter, die fünfjährige Brigitte und die siebenjährige Ursula entgegengesprungen, ihr Trost und doch auch wieder ihr geheimer Schmerz, denn sie ahnte, dass ihres Mannes Gereiztheit auch darin wurzelte, dass sie ihm keinen Stammeserben geschenkt hatte.
So gingen die Jahre wie unter einer trüben, schweren Wolke dahin. Marias einzige Freude war es, anderen Freude zu bereiten. Sie war bekannt bei den Bauern als der linde Engel von Heiligensee. Wo eine Wöchnerin war, brachte sie gute, nahrhafte Suppe hin und sah auch sonst nach dem Rechten. Sie sammelte die Kinderlein um sich und erzählte ihnen von dem lieben Heiland, und wo ein Alter auf dem Sterbelager stöhnte, da saß Maria daneben und hielt die müden Hände, wenn sie auch sonst nicht mehr viel tun konnte. Ihre linde zarte Hand war den Alten, die sonst an wenig Lindigkeit gewöhnt waren, eine wahre Guttat, und wenn Maria ihnen dann die Augen zum letzten Schlummer schließen wollte, dann hielten sie die weiche Hand so fest, als wär's der liebe Herr selber, der sie mit sich zum Himmel geleitete.
Nun traf es sich, dass Peter Bredickes Weib Henriette heftig erkrankt war am hitzigen Fieber. Das war so gekommen:
Henriette hatte draußen auf den Luchwiesen in Nieder-Neuendorf beim Heuen geholfen. Es war ein sehr heißer Tag gewesen, und sie waren alle sehr durstig. Da hatte sie, so heiß, wie sie war, einen Schluck eiskaltes Wasser aus dem Brunnen von Jörg Lindeken in Nieder-Neuendorf getrunken. Kaum war sie mit der Fähre drüben angelangt, da fingen heftige Stiche in der Lunge an, und abends raste bereits in ihr die heiße, brennende Glut. Mein Gott, was sollte aus ihren kleinen Kindern werden, dachte Maria von Bredow, als sie durch ihre Magd von der Erkrankung der Lehnschulzin hörte. Sie kämpfte mit sich selbst: sollte sie hingehen - sollte sie wegbleiben? Denn sie wusste nur zu gut um die Feindschaft zwischen dem Lehnschulzen Bredicke und ihrem Mann. Aber schließlich siegte die Liebe zu der Kranken in ihr. Ich werde es ganz heimlich machen, so dass niemand es merkt. Sie tat Binden und Tücher in ein kleines Körbchen, dazu Fläschlein mit Wein und einige Früchte aus ihrem Garten, und als der Abend seine Schatten über die Dorfaue breitete, machte sie sich auf den Weg. Matthias war nicht zu Hause. Sie kam auch unbemerkt zu dem Lehnschulzenhof, ging rasch durch das Hoftor und trat in das Krankenstübchen. Die Fieberglühende zuckte zusammen, als die weiche, kühle Hand Marias die ihre berührte. Sie schaute auf und erkannte jene - und da huschte ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht. Sie drückte ein wenig Marias Hand und hauchte: "Meine armen Kinder!" Da neigte Maria ein wenig ihr Haupt und flüsterte ihr ins Ohr: "Sei unbesorgt, wie es auch komme, ich will ihnen wie eine Mutter sein." Dann machte sie sich daran, die Tücher auszupacken, in kühles Wasser zu tauchen und ihr Umschläge zu machen.
Derweil war Matthias von der Sauenjagd heimgekehrt, den kurzen Speer in der Hand. Er hatte heute wenig Weidmannsheil gehabt, und verdrießlich sprach er in dieser Stimmung noch vor dem Abend bei seinem Freunde, dem Krüger Peter Pasger, vor. Der hatte vorher in der Türe gestanden und gerade noch gesehen, wie Maria drüben über der Aue in dem Lehnschulzenhof verschwunden war.
Er wusste nur zu gut, wie gespannt die Lage zwischen Bredicke und dem Bredow war - und hämisch fragte er daher: "Nun? - Herr Bredow, viel Glück zu eurem Frieden mit dem Bredicke!" Unwirsch fuhr Matthias auf: "Was soll das heißen? Mache er keine dummen Scherze! Mir ist heute gar nicht zum Scherzen zumute." - "Nun, nun, nichts für ungut," versetzte der andere, "ich dachte nur so, wie ich vorhin euer Weib in den Schulzenhof gehen sah, ihr habet da nun Buße getan und alles sei in guter Ordnung."
Matthias fuhr auf, und die Zornesader schwoll ihm auf der Stirn: "Was schwätzt er da? Mein Weib bei dem Hundsfott, dem Bredicke?" - "Es ist, wie ich euch sagte", keuchte der Krüger dem anderen zu, der ihn an der Brust gepackt hatte und schüttelte.
Matthias stieß ihn zurück, raffte seinen Speer auf und stürmte zur Schanktür hinaus. Er musste quer über die ganze Aue rasen, denn der Schulzenhof lag am anderen Ende und grenzte an die Havel. So kam es, das Bredicke selber den Wütenden kommen sah, da er gerade unter dem Hoftor stand. Blitzschnell begriff er den ganzen Zusammenhang, denn er wusste um den Krankenbesuch von Frau Maria bei seinem Weibe, sprang in den Hof hinein, warf die schwere Türe zu und stieß von innen den breiten Riegel vor. Dann eilte er ins Haus, ergriff Frau Maria bei der Hand, zog sie zur Krankenstube hinaus in den Garten hinein und eilte mit ihr hinab zum Flusse, wo sein Kahn lag, den er gewöhnlich zum Fischen benutzte. Er hatte ihr nur kurz zugerufen: "Ihr Mann kommt, retten sie sich" , und sie hatte wie betäubt in alles eingewilligt. Derweil war Matthias an das verschlossene Tor herangekommen. Mit einem einzigen Fußtritt sprengte er es auf, sodass die Bohlen auseinandersplitterten, raste durch das Haus, schaute in das leere Krankenzimmer, sah die offene Tür zum Garten und stürmte hinter den Flüchtenden drein. Die hatten eben vom Ufer abgestoßen, um auf die andere Seite zu Marias Bruder Hennig überzusetzen. Bredicke sah den Wütenden und verdoppelte die Kraft seiner Ruderschläge. Matthias stieß einen Wutschrei aus, schleuderte mit aller Wucht seinen Speer, surrend flog der durch die Luft... und drang tief in Marias Brust hinein. Röchelnd sank sie in sich zusammen und hauchte nur noch: "Vergib ihm, er weiß nicht, was er tut, o Gott, schenk ihm deine Liebe!..." Bredicke war mit der Sterbenden an dem Ufer angelangt. Ein Knecht, der am Ufer stand und Netze zum Trocknen aufhing, hatte die beiden gesehen und rief in das ferne Haus am Ufer hinein. Dort war gerade Nikolaus Clanier, der Priester von Heiligensee, zu Gast. Kaum hörte er die Worte des Knechts und begriff, worum es sich handelte, da stürzte er zur Tür hinaus, gefolgt von dem Bruder Marias, zum Ufer. Clanier kniete neben dem Sterbenden nieder und bettete ihr Haupt in seiner Kutte. Noch einmal schaute sie zu ihm auf und hauchte: "Gott wird ihm vergeben" . Da war das Leben aus ihr entflohen. Clanier schlug das Kreuz über sie und drückte ihr sanft die Augen zu.
Während Hennig die Tote aufbahren und in die kleine Jagdkapelle mit dem starken Wehrturm, der nahe seinem Hause unweit der Havel stand, bringen ließ, ging Clanier einen schweren Gang.
Wieder flammte der ganze Abendhimmel purpurrot wie heiliges Blut, und drunten im Wasser malten sich die himmlischen Gluten wie in einer feurigen Taufe, als er mit dem kleinen Fährkahn übersetzte und... und drüben auf Matthias stieß, der eben im Begriff war, zu seinem Schwager überzusetzen. Clanier hielt den Stürmenden an der Schulter fest und sah ihm tief in die Augen: "Ihr habt unschuldig Blut vergossen, Euer Weib ist nicht mehr" . Als Matthias den ganzen Zusammenhang begriff und hörte, warum sein Weib im Schulzenhof gewesen, brach er mit einem wilden Weheschrei bewusstlos in sich zusammen. Er kam auch nicht zur Besinnung, als ihn seine Knechte heim schaffen und dort auf sein Lager betteten. Erst am anderen Morgen wachte er auf. Clanier saß bei ihm und hielt seine Hand. Matthias war völlig gebrochen. Alle Starrheit war von ihm gewichen. Er war wie umgewandelt, ein zerstoßener Mann. Am übernächsten Tag wurde Maria drüben vor dem Altar des kleinen Kirchleins in Nieder-Neuendorf in die Gruft der Gröbens gesenkt. Der erste Gang des Matthias von Bredow nach seiner Heimkehr aber war zu dem Lehnschulzen, dessen Weib die Krise überwunden und schon auf dem Wege der Besserung war. Matthias konnte ihm nur schweigend die Rechte hinhalten, in die der andere nach einigem Zögern stark und fest einschlug. Bei seinem nächsten Besuch am Markgräflichen Hof berief Matthias einen Steinmetzen nach Heiligensee, der ihm ein Bild seines Weibes herstellen musste. Es hatte die Gestalt der schmerzreichen Mutter, die den entseelten Leib ihres Sohnes in ihrem Schoße trägt. Die Züge der Mutter Gottes waren die seines eigenen Weibes Maria, wie es der Künstler nach einem Bilde seiner Frau gestaltete.
Dieses Kunstwerk wurde von Matthias in eine Nische des kleinen Dorfkirchleins an seiner Außenseite, dort, wo der Altar innen steht, angebracht, so dass es wie in einer kleinen Kapelle war. Es war, als ob der Marienaltar, der innen in dem Kirchlein stand, nun nach außen gewandert war.
Denn täglich wurden von unbekannter Hand neue Blumensträuße dazugetan, so dass dieses Bild Maria von Bredows der Marienaltar von Heiligensee wurde. Alle Liebe, die sie heimlich den Alten, Gebrechlichen und Kranken im Dorfe geschenkt hatte, kehrte nun als Liebe und Dankbarkeit zu diesem Bild, das ihre Züge trug zurück.
Täglich sah man ihren Mann vor diesem Bild knien, Matthias wurde und blieb ein völlig anderer. Es war, als sei die Lindigkeit und Milde seiner Frau in ihn übergegangen, denn fortan war er es, der sich um die Kranken mühte und sich ihrer annahm, er setzte sich mit dem Abt des Zisterzienserklosters in Spandau in Verbindung und bewirkte, dass eine kleine Niederlassung der Brüder aus Spandau zur Pflege der Ortsarmen und der kranken Pilger auf dem Blutwege nach Wilsnack nach Heiligensee kam. Bald war das Gnadenbild von Heiligensee bekannt geworden. Kranke, die das hitzige Fieber hatten und nur mit einem Tropfen des Weihwassers, das neben ihrem mütterlichen Bilde war, besprengt waren, genasen von ihrem Fieber, und es mehrten sich dort die geweihten Kerzen derer, die den wahren Frieden in der Liebe von oben suchten, Erlösung aus Hass und brennendem Unfrieden.
Einer aber war es in Wahrheit, der um die Wunderkraft dieses Lebens und Sterbens wusste, von der dies Gnadenbild zeugte. Matthias hatte die heilige Kraft des Blutes an sich erfahren und wusste: Alles Leben ist Opfer des einen zum Lebensgewinn für den anderen.
Paul Joh. Haack, Pfarrer in Heiligensee 1920-1954